"Als Designer muss ich Nutzer auf den Preis Ihrer Bequemlichkeit aufmerksam machen"

"Als Designer muss ich Nutzer auf den Preis Ihrer Bequemlichkeit aufmerksam machen"

Wir sprachen mit Mike Finch von GetProtected.io über seinen Kampf für Privatsphäre und die Design-Herausforderungen für Apps, die Privatsphäre an erste Stelle setzen.

Wann haben Sie das erste Mal auf digitale Sicherheit und Privatsphäre geachtet?

Als ich 16 Jahre alt war, habe ich in der Schule einen Kurs in Grundlagen zum Thema Networking absolviert. Eines Tages gab uns unser Lehrer eine einfache Aufgabe: Gelangt mittels Hacking in diese Box und ich gebe euch eine Eins.

Ich habe es nicht nur geschafft, mir Zugriff zu verschaffen, sondern ich fand auch die Sozialversicherungsnummern, Geburtsdaten, Anschriften und Kontoinformationen aller Lehrer im gesamten Schulbezirk. Da war ich also – ein gammeliger Punk-Rocker mit einem Skateboard – und zeigte meinem Lehrer seine eigentlich vertrauliche Sozialversicherungsnummer. Und plötzlich tat es mir leid. Mein Lehrer war besorgt, nicht beeindruckt. Als ich ihm ins Gesicht sah, wurde mir klar, wie sehr er sich in seiner Privatsphäre verletzt fühlte. Manchmal vergessen wir den menschlichen Faktor unserer Handlungen, wenn wir mehr am Ergebnis interessiert sind als an den Betroffenen.

Die Informationen, die ich über ihn hatte, waren rechtmäßig sehr schlagkräftig und hätten gegen meinen Lehrer verwendet werden können. Mir wurde bewusst, dass ich auf keinen Fall wollte, dass irgendjemand irgendwann einmal diese Macht über mich hat.

Aus Ihnen wurde schließlich ein Web-Designer und mit GetProtected.io haben Sie es sich zum Ziel gesetzt, Menschen dabei zu helfen, die Kontrolle über ihr digitales Leben zu wahren. Was hat Sie dazu inspiriert, dieses Projekt auf den Weg zu bringen?

Trumps unerwarteter Wahlsieg in der amerikanischen Präsidentschaftswahl war der Auslöser. Privatsphäre ist keine Parteiangelegenheit, aber das Weiße Haus unter Trump verhält sich gegenüber den Themen Privatsphäre, Netzneutralität und offenem Internet besonders feindselig. Bei Trump ist keine Person, der man die Kontrolle über die umfangreichen amerikanischen Überwachungsprogramme überlassen möchte.

Was ist Ihr Hauptanliegen, wenn Sie auf Ihrer Seite Apps sammeln, die Privatsphäre an erste Stelle setzen?

Get Protected soll Menschen, die vom Konzept her mit dem Thema Privatsphäre wenig vertraut sind – besonders technisch unbedarfte Nutzer – als Einführung in privatsphäreorientierte Apps dienen. Ich habe Flugblätter gemacht, die ich auf Demonstrationen verteile. Ich lege kleine Stapel in Buchhandlungen und Cafés aus und bemühe mich, Menschen in technisch weniger versierten Bereichen zu erreichen. Hier handelt es sich nicht um die Zielgruppe, die dank Verge oder TechCrunch Informationen über Verschlüsselungsoptionen erhält. Wenn man der Meinung ist, dass Privatsphäre ein Menschenrecht ist, muss man die Menschen – alle Menschen – dort erreichen, wo sie sich aufhalten. Aufklärung ist unser primärer Fokus für die nächsten Monate. Apps sind eine großartige Sache, aber ohne das nötige Wissen zur korrekten Verwendung sind sie nichts wert.

Was sind die Kriterien, um eine App in Ihre Liste aufzunehmen?

Jede auf GetProtected.io genannte App wurde von mir persönlich installiert und in irgendeiner Form benutzt. Um eine weniger technisch-versierte Zielgruppe zu erreichen, liegt mein Fokus zum großen Teil auf der Benutzererfahrung der jeweiligen App. Ich achte auf Dinge wie Nutzerfreundlichkeit, die Übersichtlichkeit der Nutzeroberfläche, die Einfachheit der Einführung. Ich stelle mir selbst die Frage: „Könnte mein Großvater das lernen?“ Es gibt jede Menge fantastischer Apps da draußen, die nicht in die Liste aufgenommen wurden, weil sie technisch zwar beeindruckend, aber zu kompliziert oder unausgereift sind, um bequem von der breiten Masse genutzt zu werden.

Als Designer haben Sie an der Grafikoberfläche von vielen Web-Projekten gearbeitet. Welche Rolle spielen Datenschutzfragen im Design-Prozess?

Dies wird dank des unglaublich schnellen Fortschritts von Tag zu Tag schwieriger. Denken Sie doch nur einmal an Ihren Lieblings-Sci-Fi-Film: Die Zukunft hält viele smarte Objekte bereit, die uns das Leben erleichtern werden. Das Problem mit jeder Art intelligenter Technologie ist, dass diese nur so effektiv sein kann, wie die eingespeisten Daten es zulassen. Und in der heutigen Welt geht diese Effektivität zu großen Teilen auf Kosten der Privatsphäre. Bequemlichkeit hat ihren Preis. Als Designer ist es meine Aufgabe, Nutzer auf diesen Preis aufmerksam zu machen.

Privatsphäre ist dabei nicht gleich Privatsphäre. Was wir als „privat“ erachten, ist subjektiv und für jeden anders – und das ist gut so. Als Designer müssen Sie mit dem Nutzer darüber sprechen. Sie können nicht davon ausgehen, dass jemand mit etwas einverstanden ist, nur weil Sie es sind. Bevor Sie Nutzerdaten tracken, fragen Sie die Person. Erklären Sie die Vor- und Nachteile. Wenn der Nutzer den Mehrwert sieht, wird er Privatsphäre für die Vorzüge Ihres Produkts aufgeben. Aber Sie müssen diesen Dialog eingehen und Nutzern die Möglichkeit geben, kompromittierende Situationen zu vermeiden.

Nutzerfreundlichkeit ist eine der größten Herausforderungen. Was sind die zentralen Herausforderungen im Bereich User Experience (UX), mit denen Designer sich konfrontiert sehen?

Die meisten Designprobleme sind Kommunikationsprobleme. Im Fall von Datenschutz-UX liegt die größte Herausforderung aus meiner Sicht in schlechter Kommunikation zwischen Anbieter und Nutzern. Das ist nicht einfach hinzukriegen. Um Ihre Nutzer zu verstehen, müssen Sie Zeit und Forschung investieren. Falls Sie also gerade auf eine Deadline zusteuern oder etwas gestrichen werden muss, werden hier oft zuerst Abstriche gemacht. Das Problem liegt darin, dass Sie dann letztendlich ein Produkt in die Welt hinausschicken, das für Sie Sinn macht, aber nicht für Ihre Endverbraucher.

Zwei positive Beispiele für gute Kommunikation mit einer Zielgruppe sind TunnelBear und NordVPN. TunnelBear erklärt stolz, dass sie „wirklich einfache Privatsphäre-Apps“ bauen, und sie haben die Komplexität virtueller Privatnetzwerke in einem niedlichen, animierten Bären visualisiert. Sie wissen, dass Ihre Zielgruppe mit großer Wahrscheinlichkeit aus VPN-Anfängern besteht und haben ihren Service so gestaltet, dass er diese Nutzer effektiv anspricht. NordVPN präsentiert sich stattdessen „das weltweit am weitesten entwickelte VPN“ und das sieht man auch in ihrem Design. Ihr Service ist sehr viel funktionslastiger und sie bieten Spezialserver an, die eigens für bestimmte Verwendungszwecke bereitgestellt werden (Tor, Video-Streaming etc.). Ihr Design ist zwar unkompliziert, aber die Lernkurve im Vergleich zu TunnelBear ist um einiges steiler.

Können Sie Veränderungen sehen, wie sich Designer Fragen rund um Privatsphäre nähern?

Es gibt immer eine Schere in kreativen Köpfen – bei Designern ebenso wie bei Entwicklern – zwischen dem, was sie machen können und dem, was sie machen sollten. Der Drang nach Innovation kann katastrophale Auswirkungen auf die Privatsphäre der Nutzer haben. Wenn es Ihre Aufgabe ist, die Grenzen des Möglichen zu überschreiten, kann es zu einer Herausforderung werden, sich ins Gedächtnis zu rufen, dass Designentscheidungen gewisse Konsequenzen mit sich bringen. Es gibt zwar auf Privatsphäre bedachte Designer, aber bedauerlicherweise sind wir eine seltene Gattung. Zum Glück tendieren diejenigen unter uns, denen diese Themen am Herzen liegen, dazu, kein Blatt vor den Mund zu nehmen. Ein Beispiel dafür ist Mike Monteiro von Mule Design, der kürzlich eine Präsentation mit dem Titel „Wie Designer die Welt zerstörten“ hielt, in der er anspricht, auf welch verheerende Weise wir Designer die potentiellen Privatsphäre-Implikationen unserer Designentscheidungen zum Nachteil unserer Nutzer vernachlässigen. Vorträge wie dieser hallen nach, aber wir haben weiterhin noch alle Hände voll zu tun.

 

Mike Finch ist ein Designer und Datenschutzaktivist in den USA. Er hat für Organisationen wie Code.org, Facebook und Amazon designt und ist der Urheber von GetProtected.io, einem Vorzeigeprojekt von privatsphäre-orientierten Apps. Er trinkt vermutlich mehr Kaffee, als er sollte.